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Anlagenhaftung: Anlage im Sinne des § 89 Abs. 2 WHG

Gelangen aus einer Anlage, die bestimmt ist, Stoffe herzustellen, zu verarbeiten, zu lagern, abzulagern, zu befördern oder wegzuleiten, derartige Stoffe in ein Gewässer, ohne in dieses eingebracht oder eingeleitet zu sein, und wird dadurch die Wasserbeschaffenheit nachteilig verändert, so ist nach § 89 Abs. 2 WHG bzw. § 22 Abs. 2 WHG a.F. der Betreiber der Anlage zum Ersatz des daraus einem anderen entstehenden Schadens verpflichtet. Der BGH hatte in seinem Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 385/22 die Frage zu klären, ob ein "blinder" Einfüllstutzen als Anlage im Sinne des § 89 Abs. 2 WHG anzusehen ist, wenn von der ursprünglich vorhandenen Heizungsanlage nach Entfernen des Kellertanks nur noch ein Stück der Rohrleitung mit dem im Domschacht befindlichen Stutzen vorhanden ist.

 

Sachverhalt

 

Die Parteien streiten über einen von der Beklagten mit der Wider- und Drittwiderklage geltend gemachten Schadensersatzanspruch aufgrund einer Heizöllieferung.

 

Die Beklagte ist Miteigentümerin eines Hausgrundstücks. Sie bestellte bei der Klägerin Heizöl. Diese beauftragte mit der Lieferung den Streithelfer der Drittwiderbeklagten, einen Spediteur, dessen Kfz-Haftpflichtversicherer die Drittwiderbeklagte ist. Als Fahrer der Spedition lieferte der Drittwiderbeklagte der Beklagten Heizöl. Das Hausgrundstück der Beklagten verfügt über einen Erdtank. Der Zugang zum Erdtank führt über einen Domschacht, in dem sich neben dem Füllstutzen für den Erdtank ein weiterer, "blinder" Füllstutzen befindet, der zu einem im Jahr 2007 entfernten Tank im Haus führte. Die Beklagte wies den Fahrer bei Anlieferung des Öls darauf hin, dass von den zwei im Domschacht vorhandenen Einfüllstutzen einer "blind" ist. Der Fahrer schloss den Ölschlauch des Tankwagens anstatt an den zum Erdtank gehörenden an den über ein Stück Rohrleitung in den Keller führenden Einfüllstutzen an und pumpte mit der Pumpe des Tanklastwagens 2.926 l Heizöl in den Keller. Es kam zu Verunreinigungen des Erdreichs und am Gebäude.

 

Das Oberlandesgericht spricht der Beklagten lediglich 50 % der Klageforderung zu, da sich die Beklagte als Anlagenbetreiberin nach § 89 Abs. 2 WHG eine Mithaftung von 50 % anrechnen lassen müsse. Sie sei für den Zustand der Anlage und die Einhaltung der Verkehrssicherheit verantwortlich. Der Einstufung des "blinden" Einfüllstutzens als Anlage im Sinne des § 89 Abs. 2 WHG stehe nicht entgegen, dass von der ursprünglich vorhandenen Heizungsanlage nach Entfernen des Kellertanks nur noch ein Stück der Rohrleitung mit dem im Domschacht befindlichen Stutzen vorhanden sei. Der Anlagenbegriff des § 89 Abs. 2 WHG sei im Hinblick auf den Gewässerschutz weit gefasst und erfasse auch stillgelegte Anlagen, wenn sie weiterhin für ihre Umgebung gefährlich seien. Diese Gefahr für den Gewässerschutz gehe auch von der Restanlage der Beklagten aus, da aufgrund der nicht gesicherten Öffnung des Stutzens ein versehentliches Einfüllen von Heizöl und damit auch eine Gefährdung möglich sei. Bei der Bemessung der beiderseitigen Schadensbeiträge sei daher von zwei Anlagenbetreibern auszugehen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Revision.

Das Landgericht hat die Drittwiderklage gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer abgewiesen. Die Berufung der Beklagten, mit der sie ihre Anträge gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer weiterverfolgt, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und insoweit die Revision zugelassen. Dagegen legt die Beklagte Revision ein.

 

Entscheidung

 

Mit Erfolg! Nach Ansicht des BGH liegt, wenn von der ursprünglich vorhandenen Heizungsanlage nach Entfernen des Kellertanks nur noch ein Stück der Rohrleitung mit dem im Domschacht befindlichen Stutzen vorhanden ist, keine Anlage im Sinne des § 89 Abs. 2 WHG vor.

 

Der Begriff der Anlage im Sinne des § 89 Abs. 2 WHG ist zwar weit gefasst. Darunter fallen alle ortsfesten oder ortsveränderlichen Einrichtungen, mit denen im Allgemeinen für eine gewisse Dauer bestimmte, in § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG im Einzelnen aufgeführte Zwecke mit technischen Mitteln verfolgt werden. Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 22 Abs. 2 WHG aF, der Vorgängervorschrift des § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG, haftet der Anlagenbetreiber auch für eine funktionslose, also nicht mehr betriebene Öltankanlage, die noch Öl enthält und damit für ihre Umwelt gefährlich bleibt. Auch wird in der Literatur die Ansicht vertreten, für die Haftung nach § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG müsse die Anlage nicht mehr in Betrieb sein. Allerdings § 89 Abs. 2 WHG erfasst seinem Sinn und Zweck nach aber nur „gefährliche Anlagen“, also solche, deren bestimmungsgemäße Verwendung typischerweise die Gefahr einer Gewässerverunreinigung mit sich bringt. Bei stillgelegten und/oder teilweise demontierten Anlagen ist daher in jedem Einzelfall zu prüfen, ob diese aufgrund ihrer weiter bestehenden oder weggefallenen bzw. erneuerten Bestimmung in diesem Sinn noch gefährlich sind, etwa weil sie weiterhin wassergefährdende Stoffe enthalten.

 

Maßgeblich für die Beurteilung der Bestimmung einer Anlage ist, für welche Vorgänge sie von ihrem Inhaber bzw. (früheren) Betreiber (noch) vorgesehen ist. Die Bestimmung der Anlage ist nicht objektiv und unveränderlich festgelegt, sondern vom Willen des Betreibers abhängig.

 

Im Streitfall dienten bis zum Entfernen des Öltanks im Keller dieser und die zu ihm führende Rohrleitung nebst Einfüllstutzen als Anlage zum Transport und zur Lagerung von Heizöl als wassergefährdendem Stoff. Vorliegend wurde im Jahr 2007 der Öltank im Keller entfernt, übrig blieben der Einfüllstutzen im Domschacht und ein mit ihm verbundenes Rohrstück, das in den Keller führt. Die verbliebenen Teile dienen seit dem Entfernen des Tanks objektiv und nach dem Willen der Beklagten als Betreiberin nicht mehr dem Befüllen eines Heizöltanks und sind daher nicht mehr zum Transport von Heizöl bestimmt. Eine Gefahr für ein Gewässer durch die Restanlage entstand nur dadurch, dass der Einfüllstutzen und das mit ihm verbundene Rohrstück mit einer aktiven Anlage verwechselt und Öl eingefüllt wurde. Diese Nutzung des "blinden" Einfüllstutzens ist mit der bestimmungswidrigen bzw. missbräuchlichen Nutzung einer noch aktiven, aber zu anderen Zwecken bestimmten Anlage vergleichbar. Die bestimmungswidrige Nutzung einer Anlage ist von der Haftung nach § 89 Abs. 2 WGH nicht erfasst. Dies gilt auch für die hier vorliegende Restanlage.

 

Praxishinweis

 

Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund der aus § 89 Abs. 2 WHG resultierenden unbegrenzten Gefährdungshaftung zu begrüßen und begrenzt die Anlagenhaftung bei stillgelegten und/oder teilweise demontierten Anlagen.

 

Die vorstehenden Überlegungen zur Anlageneigenschaft gelten, darauf weist der BGH in seiner Entscheidung hin, entsprechend für die Anlagenhaftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG. Dieser Haftung unterfallen Anlagen, die zur Leitung oder Abgabe von Öl bestimmt sind. Um eine solche Anlage handelt es sich im Streitfall nach der Demontage des Heizöltanks nicht mehr.


Dr. Ronald M. Roos