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Tankwagen: Entladevorgang gehört zum „Gebrauch“ des Fahrzeugs!

Der Halter eines Kraftfahrzeugs oder Anhängers mit regelmäßigem Standort im Inland ist verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen verwendet wird (§ 1 PflVG). Der BGH hat in seinem Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 385/22 nochmals bestätigt, dass der Entladevorgang „zum Gebrauch“ des Fahrzeugs im Sinne des § 1 PflVG gehört, solange das Kraftfahrzeug oder seine an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen daran beteiligt sind. Der Schaden, der beim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann "durch den Gebrauch" des Kraftfahrzeugs entstanden, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt worden ist. Das Entladen eines Tanklastzugs mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe ist danach dem Gebrauch des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, solange der Druck der Pumpe noch auf das abzufüllende Öl einwirkt und die Flüssigkeit durch den Schlauch heraustreibt.

 

Sachverhalt

 

Die Parteien streiten über einen von der Beklagten mit der Wider- und Drittwiderklage geltend gemachten Schadensersatzanspruch aufgrund einer Heizöllieferung.

 

Die Beklagte ist Miteigentümerin eines Hausgrundstücks. Sie bestellte bei der Klägerin Heizöl. Diese beauftragte mit der Lieferung den Streithelfer der Drittwiderbeklagten, einen Spediteur, dessen Kfz-Haftpflichtversicherer die Drittwiderbeklagte ist. Als Fahrer der Spedition lieferte der Drittwiderbeklagte der Beklagten Heizöl. Das Hausgrundstück der Beklagten verfügt über einen Erdtank. Der Zugang zum Erdtank führt über einen Domschacht, in dem sich neben dem Füllstutzen für den Erdtank ein weiterer, "blinder" Füllstutzen befindet, der zu einem im Jahr 2007 entfernten Tank im Haus führte. Die Beklagte wies den Fahrer bei Anlieferung des Öls darauf hin, dass von den zwei im Domschacht vorhandenen Einfüllstutzen einer "blind" ist. Der Fahrer schloss den Ölschlauch des Tankwagens anstatt an den zum Erdtank gehörenden an den über ein Stück Rohrleitung in den Keller führenden Einfüllstutzen an und pumpte mit der Pumpe des Tanklastwagens 2.926 l Heizöl in den Keller. Es kam zu Verunreinigungen des Erdreichs und am Gebäude.

 

Das Landgericht hat die Drittwiderklage gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer abgewiesen. Die Berufung der Beklagten, mit der sie ihre Anträge gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer weiterverfolgt, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und insoweit die Revision zugelassen. Dagegen legt die Beklagte Revision ein.

 

Entscheidung

 

Mit Erfolg! Der BGH bejaht einen Anspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VVG, § 1 PflVG. Der Schaden sei zwar nicht „bei dem Betrieb“ des Tanklastfahrzeugs im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG entstanden, es liege aber ein „Gebrauch“ des Tanklastfahrzeugs vor. Nach § 1 PflVG ist der Halter eines Kraftfahrzeugs verpflichtet, für sich, den Eigentümer und den Fahrer eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personen-, Sach- und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten, wenn das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen verwendet wird. Der Begriff "Gebrauch des Fahrzeugs" in § 1 PflVG schließt den "Betrieb eines Kraftfahrzeugs" im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG ein, geht aber noch darüber hinaus.

 

Bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist das Interesse versichert, das der Versicherte daran hat, durch den Gebrauch des Fahrzeugs nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, gleich ob diese auf §§ 7 ff. StVG, §§ 823 ff. BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen. Von der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung soll die typische, vom Gebrauch des Fahrzeugs selbst und unmittelbar ausgehende Gefahr gedeckt sein. "Gebraucht" wird ein Kraftfahrzeug auch dann, wenn es nur als Arbeitsmaschine eingesetzt wird. Der Entladevorgang gehört danach zu seinem Gebrauch, solange das Kraftfahrzeug oder seine an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen daran beteiligt sind. Der Schaden, der beim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann "durch den Gebrauch" des Kraftfahrzeugs entstanden, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt worden ist. Nach diesen Grundsätzen ist das Entladen eines Tanklastzugs mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe dem Gebrauch des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, solange der Druck der Pumpe noch auf das abzufüllende Öl einwirkt und die Flüssigkeit durch den Schlauch heraustreibt. Damit wird der Tanklastzug mit seinen speziellen Vorrichtungen unmittelbar eingesetzt. Kommt es hierbei zu einer Schädigung, so verwirklicht sich eine Gefahr, die von dem Fahrzeug selbst ausgeht.

 

Diesem Verständnis steht die Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht nicht entgegen. Ein Fahrzeug, das zum Zeitpunkt des Unfalls in erster Linie als Arbeitsmaschine und nicht als Transportmittel verwendet wird, fällt nach der Rechtsprechung des EuGH zwar nicht unter Art. 3 der Richtlinie. Demgegenüber fällt der Einsatz als Arbeitsmaschine nach den oben angeführten Grundsätzen unter den "Gebrauch des Fahrzeugs" nach § 1 PflVG. Der Gesetzgeber sieht mit § 1 PflVG eine für den Geschädigten günstigere Bestimmung vor, als sie zur Umsetzung der Richtlinie erforderlich wäre. Die Besserstellung des Geschädigten ist den Mitgliedstaaten nach Art. 28 der Richtlinie erlaubt.

 

Es hat sich im Streitfall auch eine vom Fahrzeug selbst ausgehende Gefahr verwirklicht. Der Schaden am Hausgrundstück der Beklagten ist beim Entladen des Tanklastwagens mithilfe der Pumpe des Tanklastzugs entstanden, die über den Ölschlauch des Fahrzeugs, der an den "blinden" Einfüllstutzen im Domschacht angeschlossen war, Öl in den Keller der Beklagten pumpte. An der schadensstiftenden Verrichtung waren der Tanklastwagen und seine speziellen Vorrichtungen aktuell und unmittelbar beteiligt.

 

Praxishinweis

 

Die Entscheidung liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH beim Entladen von Tankfahrzeugen. So hat der VI. Zivilsenat einen Schaden "durch den Gebrauch" des Fahrzeugs in folgenden Fällen als entstanden angesehen:

 

Beim Entladen von Heizöl trat wegen einer Undichtigkeit des zur Schlauchtrommel des Tanklastwagens führenden Verbindungsschlauchs Öl aus (Urteil vom 08.12.2015 - VI ZR 139/15).

 

Während des Befüllens einer aus drei Tankbehältern bestehenden Tankanlage mittels einer mit der Motorkraft des Tanklastzugs betriebenen, auf diesem befindlichen Pumpe trat Heizöl über eine Entlüftungsleitung an der Hauswand aus (Beschluss vom 08.04.2008 - VI ZR 229/07).

 

Beim Entladen von Chemikalien aus einem Tankwagen durch Einsatz eines auf diesem befindlichen und durch den Motor des Fahrzeugs angetriebenen Kompressors war der Umfüllschlauch zu hohem Druck ausgesetzt und glitt aus der Öffnung des Tanks (Urteil vom 19.09.1989 - VI ZR 301/88).

 

Beim Entladen von Öl aus einem Tanklastzug mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe sprang beim Befüllen des Tanks der Schlauch aus der Öffnung und verspritzte Öl (Urteil vom 26.06.1979 - VI ZR 122/78).


Dr. Ronald M. Roos